vom 20. April 1999

(GVBl S. 142)

Auf Grund des § 23 Abs. 2 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der
Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990 (BGBl I S. 880), zuletzt geändert
durch Art.1 des Gesetzes vom 19.Oktober1998 (BGBl I S. 3178), erlässt die
Bayerische Staatsregierung folgende Verordnung:

 

§ 1 Anwendungsbereich

Diese Verordnung regelt die zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft
vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche erforderlichen Anforderungen
für Biergärten in der Nachbarschaft von Wohnbebauung, soweit nicht weitergehende
Regelungen als nach § 2 Abs. 2 bestehen.

 

§ 2 Anforderungen

(1) Für Biergärten wird als Tageszeit die Zeit von 7.00 bis 23.00 Uhr festgelegt. 2In
Misch-, Kern- und Dorfgebieten gilt tags ein Immissionsrichtwert von 65 dB(A). 3In
allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten gilt tags ein
Immissionsrichtwert von 60 dB(A). 4In reinen Wohngebieten gilt tags ein Richtwert
von 55 dB(A). 5Als Grundlage für die Ermittlung und Beurteilung der von Biergärten
ausgehenden Geräusche nach dieser Verordnung sind die Bestimmungen der
Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998
(GMBl S. 503) sinngemäß heranzuziehen. 6Ein Zuschlag für Tageszeiten mit
erhöhter Empfindlichkeit (Nummer 6.5 TA Lärm) erfolgt nicht.

(2) Um sicherzustellen, dass der Biergarten die Immissionsrichtwerte nach Absatz 1
und die Nachtruhe ab 23.00 Uhr einhält,

  • sind spätestens um 22.00 Uhr Musikdarbietungen zu beenden,
  • ist spätestens um 22.30 Uhr die Verabreichung von Getränken und Speisen zu beenden und
  • ist die Betriebszeit so zu beenden, dass der zurechenbare Straßenverkehr bis 23.00 Uhr abgewickelt ist.

(3) Soweit besondere Umstände vorliegen, insbesondere solche, die zu einer nicht
nur gelegentlichen Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach Absatz 1 führen,
bleibt die Befugnis der zuständigen Behörde, andere oder von den Absätzen 1 und 2
abweichende Regelungen zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen zu
treffen, unberührt.

 

§ 3 In- Kraft- Treten

Diese Verordnung tritt am 1. Mai 1999 in Kraft.

München, den 20.April 1999
Der Bayerische Ministerpräsident
In Vertretung

B a r b a r a   S t a m m
Stellvertreterin des Ministerpräsidenten

und

Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Gesundheit

 

Begründung

1. Allgemeiner Teil

1.1

Die Verordnung regelt die Anforderungen, die an Biergärten zu stellen sind, um
schädliche Umwelteinwirkungen im Sinn des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(BImSchG) zu vermeiden bzw. nicht vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen
auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Biergärten erfreuen sich in Bayern als traditionelle Einrichtungen allgemein großer
Wertschätzung und sind in Folge ihrer über lange Zeit gewachsenen Tradition ein
Stück angestammten bayerischen Kulturgutes geworden.

Die Beliebtheit der Biergärten führt allerdings auch zu Lasten für die Nachbarschaft,
vor allem durch den zu- und abfließenden Verkehr und gegebenenfalls durch laute,
verschiedentlich elektronisch verstärkte Musikdarbietungen. Besondere Beachtung
verdient dabei die Nachtruhe und ihre Bedeutung für die menschliche Gesundheit.
Entsprechend dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme sucht die Verordnung
den gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der
Bewahrung der Biergartentradition und dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft,
insbesondere während der Nachtzeit. Deren berechtigte Interessen sind folglich
abzuwägen mit der Funktionsvielfalt und Bedeutung der Institution Biergarten. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass der Biergartenbetrieb nur an den Tagen und Abenden
mit schönem Wetter in der warmen Jahreszeit stattfindet, die nach der
Lebenserfahrung ohnehin durch erhöhte und sich in den Abend hinein erstreckende
Außenaktivität gekennzeichnet ist.

Die Besonderheiten von Biergärten finden in den allgemeinen Bestimmungen des
Gaststätten- und des Immissionsschutzrechts und der darauf fußenden
Rechtsprechung keine hinreichende Berücksichtigung.

Die Staatsregierung hält es daher für sachlich gerechtfertigt, für Biergärten wegen
ihrer besonderen Betriebsweise und Funktionalität im Unterschied zu anderen
Bereichen der Außengastronomie spezielle Regelungen zu treffen. Sie ist der
Auffassung, dass die vorgesehenen Nutzungszeiten den Lebensgewohnheiten und
den aus Gründen des Gesundheitsschutzes berechtigten Interessen der
Nachbarschaft auf ausreichende Nachtruhe entsprechen.

1.2

§ 23 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) ermächtigt die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung zum Schutz der Allgemeinheit und der
Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen bestimmte Anforderungen an
die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger
Anlagen zu stellen. Die Bundesregierung hat keine Verordnung erlassen, die den
Betrieb von Biergärten erfasst, folglich insoweit keinen Gebrauch von der
Ermächtigung in § 23 Abs. 1 BImSchG gemacht. Sie hat lediglich mit der
Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm vom 26.08.1998 (GMBl.
1998 S. 503 ff.) eine allgemeine Verwaltungsvorschrift mit Aussagen zur Ermittlung
und Beurteilung von Geräuschen erlassen, die zudem keine Festlegungen für
Biergärten enthält, sondern nach Nr. 1 Buchst. b Freiluftgaststätten ausdrücklich von
ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Nach § 23 Abs. 2 BImSchG ist deshalb die
Bayerische Staatsregierung befugt, durch Rechtsverordnung Anforderungen an den
Betrieb von Biergärten festzulegen.

 

2. Zu den einzelnen Bestimmungen

2.1 Zu § 1:

§ 1 regelt den Anwendungsbereich der Verordnung.

Die Verordnung gilt für Biergärten in der Nachbarschaft von Bebauung, die als dem
Wohnen dienend einzustufen ist. Die Verordnung regelt nicht die Anforderungen an
Biergärten in der Nachbarschaft anderer sensibler Nutzungsarten wie
Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen. Keine Anwendung findet die Verordnung
auf Biergärten, denen längere Betriebszeiten erlaubt sind, weil sie die
Voraussetzungen anderer Rechtsvorschriften dafür erfüllen.

Kennzeichnend für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung sind vor
allem zwei Merkmale:

  • der Gartencharakter und
  • die traditionelle Betriebsform, speziell die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können, was ihn von sonstigen Außengaststätten unterscheidet.

Der typische bayerische Biergarten ist eine Gaststätte bzw. der im Freien gelegene
Teil einer solchen, deren Betrieb im wesentlichen auf Schönwetterperioden während
der warmen Jahreszeit beschränkt ist. Das Erfordernis des Gartencharakters verlangt
eine Situierung des Betriebs im Grünen, jedenfalls im Freien. Das Idealbild des
Biergartens ermöglicht, unter großen Bäumen im Schatten zu sitzen. Insoweit
bestehende Defizite können durch kleinere Anpflanzungen innerhalb der Anlage nur
beschränkt kompensiert werden. Der Gartencharakter wird entweder durch eine auf
dem Betriebsgelände selbst in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung oder
durch eine in der Umgebung in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung
bestimmt. Entscheidend ist das Gesamtbild der Anlage.

Ein Biergarten ist grundsätzlich eher Schank- als Speisewirtschaft. Solange keine
Verpflichtung zur Abnahme besteht, steht die Verabreichung von Speisen dem
Biergartenbegriff nicht entgegen.

Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen, weil sie seit jeher
beliebter Treffpunkt breiter Schichten der Bevölkerung sind und ein ungezwungenes,
soziale Unterschiede überwindendes Miteinander ermöglichen. Die Geselligkeit und
das Zusammensein im Freien wirken Vereinsamungserscheinungen im Alltag
entgegen. Sie sind vor allem für die Verdichtungsräume ein ideales und
unersetzliches Nahziel zur Freizeitgestaltung im Grünen. Sie sind regelmäßig gut zu
erreichen und bieten gerade Besuchern mit niedrigem Einkommen und Familien,
insbesondere durch die Möglichkeit zum Verzehr mitgebrachter Speisen, eine
erschwingliche Gelegenheit zum Einkehren. Gerade in Gebieten mit großer
Bebauungsdichte ersetzen sie vielen Bürgern den Garten. Biergärten werden vom
Großteil der Bevölkerung angenommen und sind weit über Bayerns Grenzen hinaus
als Ausdruck bayerischer Lebensart angesehen.

Gewinnen gegenüber der ungezwungenen geselligen Kommunikation andere
Vorgänge die Oberhand, etwa lautstarke Musikaufführungen, die die Möglichkeit des
Gesprächs unter Gästen vereiteln oder nachhaltig erschweren, so verliert der Betrieb
seine Eigenschaft als Biergarten im Sinne der Verordnung. Deshalb fallen unter
diesen Begriff auch nicht volksfestartige Veranstaltungen mit Bierausschank.

 

2.2 Zu § 2 Abs. 1

Die Verschiebung des Beginns der Nachtzeit ist auch nach Nr. 6.4 TA Lärm möglich.
Sie ist gerechtfertigt, weil Biergärten nicht dauerhaft, sondern nur an den Abenden
mit schönem Wetter in der warmen Jahreszeit so lange genutzt werden. Diese Tage
fallen in die Sommerzeit. In dieser Zeit ist es lange hell, was erfahrungsgemäß nicht
ohne Einfluss auf die Tagesgestaltung und die Schlafgewohnheiten ist.

Die Immissionsrichtwerte orientieren sich an der TA Lärm. Aufgrund der
Verwurzelung des Biergartens als Kulturgut in der bayerischen Tradition und
Lebensart wurde ein Bonus von 5dB (A) tagsüber für Biergartenlärm in Misch-, Kern­
und Dorfgebieten, in allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten und
reinen Wohngebieten durch entsprechende Anhebung der Immissionsrichtwerte
eingearbeitet. Aufgrund der kommunikativen und sozialen Funktion dieser
Einrichtung ist es aus Gründen der Sozialadäquanz gerechtfertigt, für Biergärten
einen höheren Immissionsrichtwert festzulegen als beispielsweise für gewerblichen
Lärm, der beständig auf die Nachbarschaft einwirkt. Die beschriebene
Geräuschbelastung ist insgesamt zumutbar, zumal der Biergarten nur an den
warmen Tagen und Abenden im Jahr die Betriebszeit ausschöpft.

Da die Verordnung selbst keine Bestimmungen über die Ermittlung und Beurteilung
von Geräuschen enthält, wurde ein Verweis auf die Regelungen der TA Lärm von
1998 aufgenommen. Die TA Lärm wird herangezogen, weil sie die neueste
Sachverständigen-Erkenntnis auf dem Gebiet des Lärmschutzes ist und umfassende
Ausführungen zu zahlreichen Aspekten der Erfassung und Beurteilung von
Geräuschen enthält. Die TA Lärm nimmt Freiluftgaststätten vom Anwendungsbereich
aus. Sie wird deshalb nur insoweit herangezogen, als ihr typische Besonderheiten
des Biergartenlärms nicht entgegenstehen.

Von einem Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit gem. Nr. 6.5 TA
Lärm wird abgesehen. Die Nutzungszeiten von Biergärten sind typischerweise und
vorrangig außerhalb der üblichen Arbeitszeit in den Tageszeiten, die von Nr. 6.5 TA
Lärm erfaßt sind . Es besteht also für den Biergarten keine zeitliche
Ausweichmöglichkeit. Diese Regelung der TA Lärm ist als Beurteilungsgrundlage für
Biergärten nicht geeignet.

Ist die Wohnbebauung an einen bestehenden Biergarten herangerückt, so kann
diesem Umstand im Rahmen einer Zwischenwertbildung entsprechend Nr. 6.7 TA
Lärm Rechnung getragen werden.

Der Wirt als Betreiber des Biergartens ist verantwortlich, darauf zu achten, dass die
von der TA Lärm abgeleiteten und für die Tageszeit um 5 dB(A) erhöhten
Immissionsrichtwerte in reinen und allgemeinen Wohngebieten sowie
Kleinsiedlungsgebieten bzw. Kern-, Dorf- und Mischgebieten nicht überschritten
werden.

 

2.3 Zu § 2 Abs. 2

Im Interesse der Nachbarschaft legt § 2 Abs. 2 Maßnahmen fest, die insbesondere
sicherstellen sollen, dass die Lärmbelastung in der Stunde von 22.00 bis 23.00 Uhr
abnimmt und ab 23.00 Uhr demzufolge Nachtruhe gewährleistet ist. Demgegenüber
lassen die TA Lärm und andere Lärmschutznormen auch nach 23.00 Uhr einen
Lärmpegel zu.

Anforderungen an die abendliche Betriebsabwicklung stellen im Normalfall die
Einhaltung des Immissionsrichtwertes und der Nachtruhe sicher. Biergärten, auf die
die Verordnung Anwendung findet, also solche in der Nachbarschaft von
Wohnbebauung, müssen ihren Betrieb so einrichten, dass der zurechenbare Verkehr
bis 23.00 Uhr abgewickelt ist, die Gäste also zu dieser Zeit weggefahren sind und ab
diesem Zeitpunkt Ruhe herrscht. Musikdarbietungen haben deshalb spätestens um
22.00 Uhr und die Ausgabe von Getränken und Speisen um 22:30 Uhr zu enden. Ein
Biergarten, der diese Betriebsanforderungen einhält und als Biergarten
definitionsgemäß Unterhaltungen in normaler Lautstärke ermöglichen muss,
verursacht im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen.

 

2.4 Zu § 2 Abs. 3

Soweit jedoch besondere Umstände vorliegen, bleibt die Befugnis der zuständigen
Behörde, andere oder weitergehende Regelungen zur Vermeidung schädlicher
Umwelteinwirkungen zu treffen unberührt. Besondere Umstände sind beispielsweise
gegeben, wenn auf Grund der Tatsache, dass durch zulässige Lärmimmissionen
anderer Anlagen ab 06.00 Uhr morgens Tagesbetriebsamkeit herrscht und dadurch
eine 8-stündige Nachtruhe nicht gewährleistet ist. In Betracht kommende
Regelungen sind beispielsweise eine Absenkung des Immissionsrichtwertes nach § 2
Abs.1, eine Einschränkung der Nutzungszeiten nach § 2 Abs. 2,
Lärmminderungsmaßnahmen an Lautsprechern oder betriebliche Maßnahmen wie
die Verlegung von lärmintensiven Bereichen des Biergartens, bspw. Kinderspielplatz
oder Musikbühne. Nur gelegentlich auftretende Überschreitungen der
Immissionsrichtwerte, die zu keiner dauerhaften Veränderung der Situation führen,
sollen noch keine weitergehenden Anforderungen an den Biergarten rechtfertigen.